Freude
- Freude und Glücksgefühle kommen von innen
- Freude erfahren kann man lernen
- Lust ist eine ganz andere Erfahrung
Glück und damit verbunden Freude sind Phänomene, die wohl jeder kennt. Da Freude nicht durch das Außen entsteht, sondern im Innern, im Geist liegt es nur an mir, ob ich mich im Moment, an der jetzigen Situation erfreuen kann. Durch das Außen wird meine Freude zwar ausgelöst, aber ohne die innere Bereitschaft zur Freude, kann kein glückliches und freudvolles Gefühl entstehen.
Wenn ich diesen Zusammenhang erkannt habe, warum freue ich mich dann so selten?
Es ist keine Lebenskunst sich an einem schönen Geschenk zu erfreuen. Auch an dem Duft der Rose wird das den meisten Menschen gelingen. Durch einen Grashalm oder einem eher unauffälligem Hirtentäschel in freudige Wallungen zu geraten, fällt uns dann schon wesentlich schwerer.
Wahrscheinlich noch ein bisschen schwerer durch einen gewöhnlichen Stein aus Granit.
Noch weniger wird die Wahrscheinlichkeit eines freudigen Empfindens, wenn ich mich mit einem Freund verabredet habe, er aber nicht kommt.
Was gar nicht möglich erscheint ist ein Glücks- und Freudenausdruck, wenn mir ein Missgeschick passiert.
Schon gar nicht mehr vorstellbar ist, ja „masochistisch“ wäre dann das Auftauchen von Freude, wenn mir jemanden einen Schaden zufügt.
Weil wir uns über die meisten Erfahrungen gar nicht freuen wollen, keinen Sinn darin sehen, sondern glauben eher ein Recht zu haben uns darüber zu ärgern, mal so richtig sauer zu sein, freuen wir uns relativ selten, denn nicht jeden Tag bekomme ich ein schönes Geschenk oder entdecke eine Rose in voller Pracht mit betörendem Duft.
Sich zu ärgern, sauer zu sein, die Wut nach außen zu werfen, ist wirklich keine Kunst. Deshalb begegnet man Menschen mit dieser Haltung ziemlich oft. Sich zu freuen, öfter zu freuen, in einen glücklichen Zustand zu gelangen, verlangt daher ein ganz anderes Bewusstsein, das eine andere Haltung, eine ganz andere Einstellung zum Leben voraussetzt.
Wenn ich mich immer dann freuen kann, wenn ich meine, einen wichtigen Grund dafür zu haben, müssen die Grundgefühle Freude und Glück immer schon in mir, in meinem Geist sein. Sie warten offensichtlich nur darauf, dass ich im Außen etwas finde, das es mir wert erscheint, diese Wohlgefühle spüren zu wollen.
So gesehen sind wir eher Freudeverhinderer.
Was löst Freude eigentlich in mir aus? Habe ich schon einmal erfahren, wie mich Freude durch den Tag trägt? Wie sie alle Erfahrungen aufhübscht. Wie aufrichtige Freude mein Leben grundlegend anders gestalten lässt. Wie auch Pflichten nicht nur leichter fallen, sondern man Neues, Sinnvolles, Erstaunliches in ihnen entdecken kann.
Wie sie uns zur Gelassenheit, zur Heiterkeit führt, zur Entspannung, zu einem anderen Essensverhalten, zu klügeren Entscheidungen, zu einem offenen Herzen, zu mehr Verständnis, ja zur Liebe. Liebe ohne Freude geht nämlich gar nicht.
Wenn wir uns anschauen, wie Wahrnehmung geschieht, können wir erkennen, dass unsere Wahrnehmung alles andere als objektiv ist, oder anders ausgedrückt, wir nehmen unsere Welt subjektiv wahr, weil sich mit unseren ständig wechselnden Gefühlen, auch unsere Vorstellungen und Wahrnehmungen ändern. Je nachdem, wie ich gerade drauf bin, sehe ich die Rose, und erfahre wie sie Freude in mir auslöst, oder ich sehe sie und gehe dann mit mürrischem Gesicht an ihr vorbei, weil mich zuvor irgendjemand komisch angeschaut hat.
Jemand, der kurzsichtig oder weitsichtig ist, oder ein besseres Augenlicht wie ich habe, jeder nimmt die Rose anders wahr.
Unser Sehen und unsere Wahrnehmungen entstehen durch die Vorstellung, die ich im Moment in mir trage, abhängig von unzähligen Variablen. Diese setzt sich wiederum aus allen zuvor gemachten Erfahrungen zusammen!
Wie sieht eine Biene oder ein Vogel die Rose? Was ist da draußen tatsächlich, was wir als Rose bezeichnen? Und, vor kurzem stand ich staunend an einem Rosenstock. Noch war keine Blühte ganz geöffnet. Aber nicht eine von den vielleicht dreißig Knospen sah genauso aus wie eine andere, auch waren alle in einem unterschiedlichen Blühtenöffnungszustand. Warum habe ich das noch nie zuvor „so“ beglückend erfahren und warum brauchte ich mehr als 70 Jahre, dass mich diese Wahrnehmung so entzückt hat?
Unsere Wahrnehmung ist abhängig von unserer geistigen Entwicklung. Je bewusster und achtsamer wir durch die Welt streifen, umso mehr verändert sich unsere Wahrnehmung. Alle unsere Sinne, die wiederum nur bestimmte Gedanken auftauchen lassen, die wiederum meine Gefühle entstehen lassen, die wiederum meine Körperhaltung beeinflussen, die wiederum auch meinen Atem beeinflusst, der wiederum meinen Stoffwechsel beeinflusst, der wiederum bestimmte Hormone bildet, der meine Muskeln…
Alles verändert sich ständig in einem nicht wirklich zu verstehendem Ausmaß und beeinflusst sich auch gegenseitig.
Wir gehören zur Natur, sind auch Tiere und können uns im Gegensatz zu den anderen Tieren jederzeit ändern. Diese geistige Freiheit haben wir. Auch sind wir frei aus den unzähligen Möglichkeiten eine auszuwählen, wohin wir uns entwickeln wollen. Bedingungen gibt es immer, aber wie ich mit den Bedingungen umgehe, das bestimmt mein Geist, mein jetziges Bewusstsein.
Vielleicht könnte ich daher einmal versuchen, mich an einem Grashalm zu erfreuen, ihn genau wahrnehmen, ihn mit den Händen spüren, tasten, ihn mit allen Sinnen in mich aufnehmen. Vielleicht spricht er sogar zu mir! Staunen über das Wunder, dass es diesen Grashalm gibt, bis ich mich so weit geöffnet habe, dass ich keinen Widerstand mehr zur Freude habe und mich ganz von ihr einnehmen, in dieses wunderbare Gefühl mich eintauchen lasse. Darauf hat die Freude schon lange gewartet. Und wenn mir das gelingt, dann dasselbe mit einem unscheinbaren Stein ausprobieren.
Dann bin ich vielleicht auch bereit das Nichtkommen meines Freundes als ein Geschenk annehmen. Ergründen, was mir jetzt gut täte und nicht in stundenlangen Grübeleien mir vorstelle und darüber nachdenke, warum er nicht gekommen ist. Wer kennt diese negative innere Litanei nicht: Ihm ist anderes wichtiger, er mag mich nicht, was fällt dem ein, ich opfere meine Zeit und er kommt nicht, meldet sich nicht, ich könnte ihn…usw. Alles Interpretation, alles nur Vorstellung, aus der wir dann gar nicht so selten eine Realität „zaubern“, die den ganzen Tag noch nachwirken kann. Oft löst sich später dieses negative Denkkarussel ganz leicht wieder auf.
Erstmals habe ich einfach Freiheit, freie Zeit. Kann etwas anderes machen und mich daran erfreuen lassen. Der Welt zuwenden, was will sie mir stattdessen zeigen, geben? Vielleicht begegnet mir deswegen ja die Frau meines Lebens, oder… Aber vor allem habe ich mich dann nicht geärgert und den Freund nicht zum Teufel gewunschen, sondern die Zeit für mich sinnvoll verbracht.
Auch die Erfahrung eines mir zugefügten Schadens, kann sich im Nachhinein als großes Glück herausstellen. Vielleicht brauchte ich genau diese Erfahrung, dass mir endlich ein Licht aufgeht, um zu erkennen, dass dieser Job oder diese Ausbildung gar nicht so richtig zu mir passt und ich danach und nur deswegen einen besseren Job gefunden habe, oder einfach eine andere Einstellung zu einer Erfahrung gefunden habe, neue Menschen kennen lerne, neue Fähigkeiten in mir entdecke, neue Werte erkenne, neue Ideen, neue…
Irgendwann kommt dann der Tag an dem ich mich freue, wenn mein Wunsch in Erfüllung geht, aber auch, wenn genau das Gegenteil geschieht, weil ich mittlerweile begriffen habe, dass mir das Leben genau das zeigt, was für mich jetzt angebracht und sinnvoll ist. Wie soll ich denn Frustrationstoleranz oder gar Gelassenheit lernen, wenn alle meine Wünsche in Erfüllung gehen?
Andererseits sind Ärger und Wut auch ein Signal, die mir sagen, dass für mich Werte in Gefahr sind. Wenn ich z. B. wütend werde, wenn Frauen nicht gleichberechtigt behandelt werden, so signalisiert mir die Wut, dass Gleichberechtigung für mich ein wichtiger Wert ist. Daher glaube ich nicht, dass wir ohne Ärger, Wut, vielleicht auch manchmal mit ein „bisschen“ Hass durchs Leben kommen.
Wenn man die Weltpolitik anschaut, wie Macht zur Zerstörung von Mensch und Natur eingesetzt wird, wie Dummheit, Gier, Neid, amoralisches Verhalten, politisches Handeln bestimmen, dann kann ich diesen Gefühlen nicht ausweichen. Vor allem deshalb, weil wir wissen, dass die gesamte Menschheit und Natur mit all den technischen Errungenschaften nahezu friedlich und in einem hohen Maße glücklich zusammen leben könnten. Stattdessen gibt es immer mehr Kriege, wird auch das Internet zu einer „Waffe“ ausgebaut, deren Gefährlichkeit wir nur unterschätzen können. Staaten bilden Menschen zu Hackern aus, die Cyber-Kriege trainieren und in die Daten hochsensibler, lebenswichtiger Institutionen einbrechen. Fakten werden zu Fake- News und Fake- News werden zu Fakten verdreht. Wir werden bewusst so lange verwirrt, Ängste werden solange geschürt und Lügen über demokratische Institutionen solange verbreitet, bis wir selbst seriösen Nachrichteninstitutionen kaum mehr Glauben schenken können.
Welche unglaubliche technischen Fortschritte haben wir seit der industriellen Revolution in gut 200 Jahren gemacht und wie hat sich unser ethisches Bewusstsein in dieser Zeit „entwickelt“?
Aber haben wir überhaupt eine Wahl, wenn wir im Alltag Glück, Wohlbefinden und Freude finden wollen, als uns dem Ärger, der Wut und anderen negativen Emotionen zu stellen, sie annehmen und dann wieder loszulassen? Wenn wir uns von diesen Gefühlen nicht überrollen lassen wollen, müssen wir uns ihnen stellen und sie verwandeln.
Zugegeben, diese Haltung einzuüben, ist alles andere als einfach. Aber ich werde zunehmend lernen, das Leben so anzunehmen, wie es sich mir zeigt, mit seinen Ungerechtigkeiten und seinem unberechenbaren Lauf. Den Fluss des Lebens spüren, mich von ihm mitnehmen lassen und all die Geschenke, die mir das Leben gibt, die ich zuvor noch gar nicht als Geschenk wahrgenommen habe, annehmen und mich daran erfreuen.
Den Fragen die mir das Leben stellt nicht ausweichen, sondern ihnen immer sinnvoller mutig antworten. Erfahren wie Wünsche und Vorstellungen sich verändern können. Der Raum zur Freude wird wachsen, genauso wie der Raum des Ärgers deutlich abnehmen wird.
Die Sinne werden geschärft und vielleicht noch wichtiger unsere Empfindungsfähigkeit erweitert und sensibilisiert. Dies berührt den Weg der Spiritualität, der Meditation, der regelmäßigen Übung, einer Praxis der Achtsamkeit, der Selbstreflektion.
Wäre es nicht sinnvoll, mal ganz genau hinzuschauen und zu erforschen, warum wir uns Glück und Wohlbefinden so schmählich und so oft entgehen lassen? Sind wir alle lieber Masochisten, oder zu faul, oder zu gleichgültig den Weg der Freude zu beschreiten? Lieben wir den Ärger mehr als die Freude? Warum werten wir Situationen, Menschen häufig eher negativ, als das Schöne, das Verbindende sehen zu wollen?
Unterschied zwischen Lust und Freude
Warum lechzen wir sooft nach Lust, nach Vergnügen, nach Spaß? Ich habe vorher gesagt, dass Spaß von außen kommt. Wenn der Spaß vorbei ist, ist er vergangen, er zeigt keine Nachhaltigkeit. Deswegen muss man sofort wieder Ausschau nach einem neuen Kick halten. Aus den Höhen des Spaßes fällt man herunter. Von überschäumend ganz schnell zum Nullpunkt. Wenn wir genau hinschauen, können wir auch erkennen, dass das, was wir als Spaß bezeichnen, manchmal ganz schön anstrengend ist. Wenn wir Sexualität ohne Liebesgefühle haben, ist der Orgasmus ganz schnell verflogen und Nüchternheit hält Einzug, die sofort wieder nach einer ähnlichen Erfahrung drängt, weil man die Wirklichkeit des Lebens überhaupt nicht haben und aushalten will. Wir greifen daher dann auch zu allen möglichen, künstlichen Reizen, Stoffen, um den Spaß künstlich aufzubauschen, um ihn wenigstens noch ein bisschen hinauszuzögern. Wie oft kann Spaß, überbordernder Spaß plötzlich zu einer ernsten, ja bedrohlichen Situation führen. Zu Übergriffen, Abwertungen, Gemeinheiten, ja zur Gewalt. Lust trägt auch viel Unbewusstheit in sich.
Wenn Menschen in freudiger Stimmung sind, kommt es nicht zu negativen Handlungen. Da ich im Hier und jetzt bin, habe ich eine Distanz zu mir selbst und kann die anderen Menschen wahrnehmen. Freude hat auch einen ganz anderen „Kurven Verlauf“ als Lust. Sie steigt in der Regel lange und stetig an. Der Höhepunkt ist nicht kurz und spitz zulaufend, sondern mehr ausgedehnt, während das Nachlassen eher sanft ist, man sinkt wie auf einem Luftpolster langsam und behutsam wieder nach unten in eine andere Realität. Daher hat die Erfahrung von Sexualität in Verbindung mit Liebesgefühlen eine ganz andere Gefühlsqualität. Und Freude ist nachhaltig. Sie kann lange nachwirken und immer wieder durch Erinnerung erneut wach gerufen werden.
Welche Droge auch immer, Freude bekomme ich durch sie nicht geschenkt. Es können schon auch abgefahrene Gefühle dabei entstehen, aber Freude ist nicht dabei. Wenn man Widerstände abbaut, sich öffnet, führt uns unser Herz in die Freude, in nahezu jedem Augenblick. Freude kann ich nicht über den Kopf erreichen, zur Freude wird man, wenn man sich ihr öffnet, sein Herz öffnet. Ich muss nur Ja sagen.
Spaß und Lust ist auch häufig nach außen gerichtet. Was ich während des Spaßes sage und tu, ist zumeist mit einer Botschaft verbunden, an die Menschen mit denen ich gerade zusammen bin. Die Botschaft an andere lautet: Schaut mir zu, wie ich jetzt Spaß habe, bin ich nicht der Größte, es geht mir ungeheuer gut, keiner hat jetzt so viel Spaß wie ich. Spaß ist daher oft auch laut und exaltiert auch steht er oft im Vergleich und in Konkurrenz mit den anderen Spaßhabern. Spaß und Vergnügen haben Absichten, Ziele, Anforderungen an jeden. Daher bin ich eher selten in der Gegenwärtigkeit und vielmehr mit meinen Gedanken in der Zukunft. Man kann kaum im nüchternen Zustand mit halbbetrunkenen Menschen etwas Sinnvolles machen. Auf diesen Zug kann ich nur aufspringen, mich mitnehmen lassen, indem ich mich auf dieselbe emotionale Ebene einschwinge, mich ähnlich bedröhne und gehen lasse. Wer nicht mitmacht, spürt sofort wie er außen vor ist, nicht mehr dazugehört.
Man will zeigen, gesehen werden, gelobt und für toll befunden werden.
Freude ist viel weniger nach außen gerichtet, man sieht auch den anderen. Freude strahlt von innen her. Sie ist gegen niemand gerichtet und lehnt andere, die nicht im Freudentaumel sind nicht ab. Sie bewegt mich innen und will daher bewahrt werden. Sie will nirgendwohin. Freude genügt sich selbst. Es gibt hier kein Ziel. Freude ist das Ziel. Wenn ich mit jemandem zusammen Freude erlebe, entsteht Freundschaft. Erlebe ich sie für mich alleine, ist es am besten die Augen zu schließen und dieses wunderbare Gefühl auszukosten, zu genießen. Man spürt sie vom kleinen Zeh bis zu den Haarspitzen.
Ein Bild kann vielleicht den Unterschied deutlich machen. Einmal ein Strohfeuer und ein glühender, alter Eichen Holzscheit. Das Stroh brennt sehr schnell, die Flamme wird groß und hell und erlischt genauso schnell. Bis altes, über viele Jahre gewachsenes Eichenholz brennt, dauert es. Die Flamme wärmt lange, aber noch länger glüht der Holzscheit, bis er allmählich, sehr langsam, Wärme verbreitend, verglüht.
Wenn ich zu dem, was mir das Schicksal schenkt Ja sagen könnte, damit einverstanden wäre und bereit wäre, zu erforschen, was das Gute, das Sinnvolle in der jetzigen Situation ist und mich der jeweiligen Herausforderung lernbereit hingeben würde, dann würde sich als Geschenk, das Glückshormon Dopamin, in mir Freude entfachen. Immer mehr Situationen würden mich dann prozesshaft erfreuen können.
Auf diese Weise würde mein Geist mich immer häufiger daran erinnern, mein Herz zu öffnen, sodass die innere Freude immer mehr meinen Alltag trägt.