Markus Orians

 

Existentielle Themen

Gruppen- und Einzeltherapie

Konditionierungen

18. Juni 2023

  • Welche Bedeutung haben Konditionierungen für uns?
  • Woher kommen sie?
  • Wie können wir lernen sinnvoll mit ihnen umzugehen?
    1. Welche Macht haben unsere Konditionierungen über uns?
      • 1.1 Wie sie uns steuern
      • 1.2 Wohin soll unsere Lebensreise gehen?
      • 1.3 Unsere Glaubenssätze
    2. Zwei grundsätzliche Konzepte zu den Ursachen von Konditionierungen
      • 2.1 Die vier Grundmotivationen der Logotherapie
        • Urvertrauen
        • Grundvertrauen
        • Selbstvertrauen
        • Sinnfindung
      • 2.2 Die vier Grundformen der Angst nach Fritz Riemann
        • Angst vor Selbsthingabe
        • Angst vor Selbstwerdung
        • Angst vor Wandlung
        • Angst vor Bindung
    3. Was macht Angst mit uns?
    4. zwei Wege in unserer Kultur als Schutzfunktion vor Ängsten
    5. Die Unerfüllbarkeit aller Wünsche
    6. Unsere Schutzmechanismen
      • Konditionierungen
      • Komplexe (Ödipuskomplex, Elektrakomplex, Mutterkomplex Vaterkomplex, Minderwertigkeitskomplex
      • Schattenseiten
    7. Drama – Dreieck nach
      • Opfer
      • Retter
      • Verfolger
    8. Der dritte Weg
      • 8.1 Mut und Achtsamkeit
      • 8.2 Spirituelles Verhalten
      • 8.3 Ängste annehmen
      • 8.4 Konditionierungen in Beziehungen
      • 8.5 Dankbarkeit und Selbstmitgefühl

     

    • Welche Bedeutung haben Konditionierungen für unser Leben?
    • Woher kommen sie?
    • Wie können wir lernen mit ihnen sinnvoll umzugehen?

    Wir handeln in vielen Situationen unbewusst. Wir haben automatisierte Konditionierungen als Schutzmechanismen gebildet, um unseren Ängsten auszuweichen. Hinter vielen Reaktionsweisen, bei denen wir wütend werden, oder uns zurückziehen, sitzen unbewusste Ängste, die dieses Verhalten steuern. Wie wir mit der Wirklichkeit umgehen, uns dem Leben stellen, bestimmen in hohem Maße unsere Konditionierungen. Konditioniert bedeutet, dass wir in unserem Verhalten keine Wahl haben und automatisiert handeln.

    Ich möchte auf den folgenden Seiten einen grundsätzlichen Zusammenhang herstellen, zwischen diesen hauptsächlich unbewussten konditionierten Verhaltensweisen und deren Ursachen, die wir in unserer individuellen Sozialisation finden können.

        1. Welche Macht haben unsere Konditionierungen über uns?

        1.1. Wie sie uns steuern

    Was machen sie mit uns? Was geschieht durch unsere Konditionierungen und den zugrundeliegenden Ängsten mit unserem Geist und mit unserem Körper? Wenn wir uns klar machen, wie nahezu alle Menschen von Konditionierungen unbewusst gesteuert werden und welche Auswirkungen dies auf unsere kleine Ich- Welt, aber auch auf die große Welt haben, dann geben wir uns die Chance eine neue innere Kraft entstehen zu lassen, die uns prozesshaft wandeln kann. Dabei können wir uns klar machen, dass jede Schattenseite unseren Alltag im Umgang mit den Menschen, im Beziehungsbereich, im Job, zur Natur beeinflusst und je unbewusster wir sind, zunehmend auch steuert.

    Wenn wir uns dann noch bewusst machen, wie wir uns grundsätzlich nahezu in jeder Situation wie fremdgesteuert verhalten, so als ob da noch eine Person in uns wäre, die wir aber lieber gar nicht näher kennen lernen möchten, dann können wir die Bedeutung unserer Konditionierungen für unser Leben erahnen.

    Solange wir fremdgesteuert sind, haben wir keine Wahl anders zu handeln. Die Konditionierungen beherrschen, bestimmen und steuern dann unser Handeln. Über die Fähigkeit zu verfügen in unserem Verhalten wählen zu können, das müssen wir erst mühsam einüben.

    Wir haben aber das Potential in uns, selbstbewusster, selbstwirksamer, zufriedener und glücklicher zu werden.

    Solange wir uns nicht auf diese lebenslange Reise begeben haben, wissen wir nicht wer wir sind, wie wir leben möchten, nach welchen Werten wir leben wollen. Solange haben wir deshalb auch nicht unsere psychischen, spirituellen, geistigen und auch körperlichen Fähigkeiten erkannt.

    1.2. Wohin soll unsere Lebensreise gehen?

    Wohin will ich im Leben reisen? Und ist das, was wir auf dieser Reise erleben Schicksal, oder haben wir auf die gemachten Erfahrungen auch selbst Einfluss?

    Wenn wir uns zum Opfer unseres Schicksals machen, glauben wir für unser Leben keine Verantwortung übernehmen zu müssen. Deshalb zeigt sich innere Freiheit auch dadurch, dass wir für unsere Erfahrungen und wie wir uns zu den Erfahrungen stellen, bereit sind die Verantwortung zu übernehmen.

    Ich gehe davon aus, dass die Fähigkeiten mit denen ich jetzt lebe, nicht mein ganzes Potential zeigen. Ich meine, dass wir zunehmend zum Lenker unseres Schicksals werden können, wenn wir ein selbstbestimmtes Leben führen wollen.

    Die Voraussetzung hierzu ist, dass wir unser jetziges Potenzial annehmen, es akzeptieren. Dann können wir durch die Reflexion unserer Verhaltensweisen, die Voraussetzung schaffen, uns durch die Öffnung unseres Herzens an die inneren, bisher unbewussten Kräfte anzuschließen. Vorausgesetzt wir sind bereit unsere Konditionierungen zu erkennen. Erst wenn wir sie verstehen,  sie in der Tiefe reflektieren, können sinnvollere Verhaltensweisen in uns entstehen, die wir dann als neue Haltungen in uns integrieren.

    Wie sehen denn unsere bisherigen unbewussten Konditionierungen aus und woran können wir  sie erkennen?

        • Unsere Glaubenssätze:

    – ich bin so aggressiv,

    – ich bin so wütend,

        • ich will Rache,
        • ich renne vor jeder großen Herausforderung davon,
        • ich bin so kurzsichtig
        • ich bin so klein,
        • ich muss immer recht haben,
        • ich halte nichts aus,
        • ich kann nicht allein sein,
        • ich bin so eifersüchtig,,
        • es ist mir so was von peinlich,
        • ich ecke überall an, ich versage immer
        • ich spüre meinen Körper nicht,
        • ich habe so viel Angst,
        • ich habe so wenig Vertrauen,
        • immer muss ich mich schämen,
        • mich mag niemand,
        • ich mache mir immer Sorgen,
        • ich brauche für mich keine Verantwortung zu übernehmen,
        • ich mache mich immer so abhängig
        • ich handle eben so, wie ich handle,
        • ich will jede Situation kontrollieren,
        • ich bin besser als andere,
        • ich kann nichts richtig
        • ich werte immer wieder andere ab,
        • ich bin eben ein Jammerlappen,
        • ich bin minderwertig,
        • stell dich nicht so an,
        • Männer weinen nicht
        • ich übernehme keine Verantwortung

    Viele Ichs. Ich kenne niemand, der damit nichts zu tun hat.

    Aber fragen wir uns denn nicht, was sie mit uns machen? Diese Sätze schwirren in unseren Köpfen herum. Wie bei einem Karussell drehen sie in unserem Gehirn beständig ihre Runden. Die Gedanken bestimmen unsere Gefühle. Und unsere Gefühle sind der Motor, der uns die Kraft gibt zu handeln. Unsere Ichs bestimmen deshalb unser Handeln und das unbewusst. Sie scheinen uns keine Wahl zu lassen. Wie fremdgesteuert handeln wir automatisiert nach ihren Wünschen.

    In einem bestimmten, aber engen Rahmen helfen und schützen diese Verhaltensweisen uns zwar auch, wenn sie aber ausschließlich unser Verhalten steuern, beschneiden sie unsere Lebendigkeit und unser gesamtes Leben.

    Dann bestimmen sie alleine wohin unsere Reise geht, aber auch wohin sie nicht geht. Sie bestimmen nicht nur wohin wir reisen, sondern auch wie wir mit den gemachten Erfahrungen umgehen. Wenn wir  unbewusst bleiben, bestimmen und steuern sie unser gesamtes Leben.

    Das heißt konkret meine Konditionierungen bestimmen, wie ich mit mir selbst umgehe, wie ich mich in Beziehungen verhalten, wie ich auf meinen Chef reagiere, welche Partei ich wähle, welche Bedeutung Geld für mich hat, wie chaotisch ich bin, wie ich grundsätzlich handle, wie ich…

    Verhaltensweisen, bei denen jeder/jede sich finden kann.

    Wenn wir uns diese Realität mit einer gewissen Distanz anschauen, kann uns deutlich werden, dass wir alle, in irgendeiner Form in der Kindheit Erfahrungen gemacht haben, machen mussten, die uns zu unterschiedlichen Strategien geführt haben, um im Leben nicht nur irgendwie zurecht zu kommen, sondern auch, weil wir geliebt werden wollen.

    Dadurch sind wir nur begrenzt fähig unsere Fähigkeiten zu entwickeln, und unsere Sehnsüchte ins Leben einzubringen.

    Unser Leben bleibt daher reduziert. Unsere tiefer liegenden Bedürfnisse und Wünsche werden durch unsere Konditionierungen dominiert und können von ihnen nicht erkannt werden.

    Konditionierungen haben aber auch auf unsere körperliche und geistige Gesundheit Einfluss. Sie zeigen sich in Stresssituationen mit all den körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen.

    Wie aber kommen wir zu diesen Mustern, zu diesen Konditionierungen?

    Zunächst stelle ich zwei grundsätzliche Konzepte vor.

        1. Zwei grundsätzliche Konzepte zu den Ursachen von

    Konditionierungen: Die 4 Grundmotivationen und die 4 Grundformen der Angst

        1. a) Die vier Grundmotivationen der Logotherapie
        2. Urvertrauen
        3. Grundvertrauen
        4. Selbstvertrauen
        5. Sinnfindung
        6. a) Die vier Grundmotivationen

    In der Logotherapie unterscheiden wir vier Grundmotivationen:

    Zu1. Urvertrauen

    Unser Urvertrauen, das im ersten Lebensjahr entsteht, bestimmt mit welcher Energie wir uns dem Leben und seinen Herausforderungen stellen können.

    Was in diesem Zusammenhang hierzu gesagt werden muss, ist, dass wir einmal hilflose kleine Kinder waren, die von den Eltern, ihrem Wissen, ihrem Denken, ihren Gefühlen, ihren Ängsten, ihren Erziehungsvorstellungen, ihren Handlungen vollkommen abhängig waren.

    Unter Urvertrauen wird hier eine alles durchdringende Haltung sich selbst und der Welt gegenüber verstanden. Ob sich ein Kind geborgen fühlt, ob es sich sicher fühlt, welchen geistigen Raum es erfährt, alles ist überwiegend von den Eltern und anderen wichtigen Bezugspersonen abhängig.

    Ein kleines Kind, das erste Erfahrungen des elementaren, physischen Schmerzes macht, erlebt sich in der „Ausgesetztheit“. Es ist die Grunderfahrung von Befremdung und damit die Quelle allen seelischen Schmerzens und allen Daseinszweifeln.

    Abhängig von diesen Erfahrungen entsteht mehr oder weniger unser Urvertrauen. Abhängig von der Intensität und Qualität der elterlichen Emotionen, ihrer Zärtlichkeit, ihrer Liebe. Von ihren Werten aber auch von ihren Ängsten und dem Wissen, was für eine gesunde Entwicklung unbedingt notwendig ist. Aus allen diesen Erfahrungen entsteht  entsprechend ein mehr oder weniger großer innerer Halt, der unser Urvertrauen zum Leben abbildet. Die Stabilität unseres  Urvertrauen zeigt sich dann in der Art und und Weise, wie wir uns in das Leben trauen, wie wir uns ins Leben hinein öffnen können, wie wir Beziehungen leben. Unser Urvertrauen bestimmt auch die Tiefe unserer Erfahrungsbereitschaft und die Qualität unserer Wahrnehmung. Damit auch inwieweit wir die Wirklichkeit annehmen können. In welchem Maße wir als Erwachsener Wirklichkeit erkennen, aushalten, akzeptieren und annehmen können.

    Die Qualität unseres Urvertrauen zeigt sich auch in welchem Maße wir unsere Fähigkeiten, in geistiger und körperlicher Weise erkennen und entwickeln können.

    Zu 2. Grundvertrauen

    Die zweite Grundmotivation bestimmt unseren Grundwert. Er bestimmt welche Beziehung wir zu uns selbst, zu anderen Menschen und zum gesamten Sein aufbauen können. Wo lasse ich mich vom Leben berühren, wie tief kann ich in die Gefühlswelt eintauchen. Wie intensiv kann ich  Freude, Genuss, Schönheit erfahren, aber auch wie kann ich  Trauer und Schmerz zulassen.

    Zu 3. Selbstvertrauen

    Zur dritten Grundmotivation gehört es meinen Selbstwert zu erkennen und anzunehmen. Wie stark kann ich meine Fähigkeiten, Ressourcen, und schlummernden Möglichkeiten entwickeln? Kann ich zu mir selbst stehen und bin ich fähig, auch meine Schwächen und Ängste anzunehmen, um sie dadurch  in Stärken zu verwandeln?

    Zu 4. Sinnfindung

    Zur vierten Grundmotivation gehört, ob und wie  ich den Sinn im Leben erkennen, ich mein Leben gestalten, ich mit Krisen umgehen, ich in meinem Geist auch zu gemachten Erfahrungen einen Perspektivwechsel vornehmen kann.

    Im dem Wort Logotherapie steckt das Wort Logos. Logos hat mehrere Bedeutungen. In der Logotherapie  bedeutet es Sinn. Sinn finden wir über unsere Werte. Werte sind für Guardini der Kostbarkeitscharakter der Dinge. Von Werten werden wir angezogen. Werte und die damit verbundenen Gefühle bestimmen letztendlich unser Handeln.

    Also: Alle vier Grundmotivationen machen deutlich, dass jede Art von geistiger und körperlicher Einschränkung, einen negativen Einfluss auf unsere physische und psychische Entwicklung haben und letztlich deshalb auch, wie unausweichlich sie zu den entsprechenden Krankheiten führen.

    Je weniger ich mein Urvertrauen entwickeln konnte, umso weniger kann ich die Wirklichkeit aufnehmen. Ängste, vor allem Existenzängste sind die Folge.

    Bei der zweiten Grundmotivation entsteht durch die Mutter oder  Bezugsperson, die ihr Kind nicht loslassen kann, eine mangelnde Ich- Stärke. Dies kann zu einem Festhalten an negativen Mustern und damit auch zu einem Hang zur Depression führen.

    Bei der dritten Grundmotivation, bei der es um unseren Selbstwert geht, können negative Erfahrungen zu einer grundsätzliichen Selbstabwertung führen, was Entscheidungsschwäche zur Folge hat. Eine Schwäche die häufig über Drogen und andere Abhängigkeiten kompensiert werden muss.

    Wenn wir in der vierten Grundmotivation den Sinn im Leben nicht erkennen, entsteht eine Perspektivlosigkeit, die zu Hoffnungslosigkeit, Idealisierung und Fanatismus führen kann.

    Ergänzend zur Logotherapie bezieht sich das nachfolgende Konzept von Fritz Riemann über Angst aus tiefenpsychologischer Sicht auf die vier Grundformen der Angst.

        1. b) die vier Grundformen der Angst nach Fritz Riemann
        2. Angst vor Selbsthingabe
        3. Angst vor Selbstwerdung
        4. Angst vor Wandlung.
        5. Angst vor Bindung.

    Die kommenden Zeilen über die Ursachen unserer Konditionierungen  stammen hauptsächlich von Fritz Riemann, der schon vor mehr als 60 Jahren eine tiefenpsychologische Studie über die Grundformen der Angst veröffentlicht hat. Ähnlich wie Alfred Längle von der Logotherapie, aber noch differenzierter unterscheidet er vier Grundformen der Angst.

    Zu1. Angst vor Selbsthingabe

    Direkt nach der Geburt sind wir Ängsten ausgesetzt, weil alles für uns neu ist, und gleichzeitig vollkommen von außen abhängig ist. Wir sind hilflos den Bezugspersonen ausgeliefert. Daher werden alle Nöte und Mangelsituationen vom kleinen Kind als bedrohlich, ja lebensbedrohlich erlebt. Diese frühesten Ängste sind also unsere Existenzängste. Alles in der Welt ist uns fremd, ja unheimlich. Deshalb kann hier bei Kindern, die von den Eltern zu wenig Sicherheit und Schutz bekommen haben, ein tiefes Misstrauen zur Welt entstehen.

    Riemann geht davon aus, dass diese Menschen Eltern hatten, die andere Erwartungen an ihre Kinder hatten. Entweder sollte das Kind eine anderes Geschlecht haben oder es entsprach äußerlich nicht ihren Wünschen. Deshalb waren die Eltern nicht fähig ihrem Kind das Gefühl von Geborgenheit, Aufgehobensein, Eingebettetsein zu geben. Körperliche Nähe, Zärtlichkeit haben diese Kinder kaum erfahren. Dies ist auch oft bei zu jungen Müttern der Fall, die einfach nicht wissen, wie sie mit dem Kind kindgerecht umzugehen haben.

    Oft sind diese Menschen als Erwachsene sehr zart beseitet und  empfindsam. Dementsprechend haben sie eine Schutzhaltung gegenüber der Nähe aufgebaut. Sie haben dann später als Erwachsene Angst abgewiesen zu werden und versuchen daher die größtmögliche Unabhängigkeit zu erreichen.

    Jede Art von Nähe ist daher an Angst gebunden. Nähe wird bei diesen Kindern als Gefahr empfunden. Selbsthingabe in einer Liebesbeziehung kann dann fast unmöglich werden.

    Die Angst vor der Selbsthingabe bedeutet, dass diese Menschen Angst haben, die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Sie haben deshalb Angst vor menschlicher Nähe. Emotionales, gefühlvolles  Verhalten verunsichert sie, macht sie misstrauisch. Wird eine gewisse körperliche Distanz unterschritten, empfinden sie sich bedroht.

    Sie brauchen die Selbstbewahrung, die Ich-Abgrenzung, die Kontrolle über die Situation. Sie sind als Erwachsene dann eine mehr oder weniger gespaltene Persönlichkeit. Gespalten zwischen Gefühl und Verstand. Sie kennen kaum Gefühlsnuancen.

    Diese Menschen sind oft übervorsichtige Sonderlinge, Einzelgänger, die sich im rationalen, wissenschaftlichen Bereich eher zu Hause fühlen.

    Im Beziehungsbereich können und müssen sie oft Sexualität von Zärtlichkeit und Liebe trennen.

    Weil Nähe bei ihnen Angst auslöst, sind sie oft voller Misstrauen, sobald es um Zärtlichkeit, Gefühle, oder sogar Liebe geht. Gefühle werden versachlicht, rationalisiert, entseelt. Ihr Misstrauen kann bis zu wahnhaften Einbildungen, zu schizoidem (gespaltenem) und psychotischem (Ich-Störungen, Realitätsverlust, Wahn) Verhalten führen. Da hinter den Ängsten auch Wut verborgen ist,  kann es sein, dass sie hauptsächlich unbewusst Kontakt durch aggressives Verhalten herstellen wollen.

    Zu 2. Angst vor Selbstwerdung:

    Die Eltern werden von dem Kind, so um das zweite und dritte Lebensjahr als die einzige Quelle von Geborgenheit und Bedürfnisbefriedigung erkannt. Jede Abwesenheit wird als Trennungsangst empfunden. Deshalb ist für das Kind die Verlässlichkeit der Eltern existentiell. Wenn sie nicht da sind, wenn das Kind glaubt sie zu brauchen, kann es sich in der Trennungsangst verlieren. Damit ein Kind Ich-Stärke entwickeln kann, ist die Verlässlichkeit der Eltern unerlässlich.

    Kinder, die ihre Bezugsperson hingegen als besitzergreifend und kontrollierend erfahren, werden auf diese Weise in eine symbiotische Beziehung gezwungen. So wurde dem Kind zu wenig Raum für Entdeckung gegeben, um sein Eigenes angemessen zu erfahren.

    Depressive Menschen sind von ihren Müttern verhätschelt und verwöhnt worden. Außerdem haben sie ihnen nichts zugemutet. Dem Kind wurde alles abgenommen. Gesunde Impulse des Kindes werden dann unterdrückt, indem die Mutter darauf gekränkt reagiert und schmollt mit: „Lass das, das ist zu schwer für dich, das kannst du nicht. Mach lieber das und sei lieb zur Mami.“ Indem die Eigenimpulse unterdrückt werden, wird das Kind an die Mutter fest gebunden. Diese Kinder stehen den Kindern aus der ersten Grundangst, der Angst vor der Selbsthingabe genau gegenüber. Deshalb haben sie Angst vor der Selbstwerdung, ein selbstständiges Ich zu werden. Daher sind sie auf Menschen, auf einen Partner angewiesen und wollen dem Partner  so nahe wie möglich sein. Dadurch besteht die Gefahr vom Partner abhängig zu werden. Trennung, Entfernung vom Geliebten machen ihnen Angst. Die Verlustangst ist bei ihnen die bestimmende Angst. Deshalb fällt es ihnen auch schwer dem Partner Eigenständigkeit  zugestehen. Durch die Abhängigkeit, weil sie selbst keinen inneren Halt entwickelt haben, können sie andere Menschen, vor allem ihren Partner/in idealisieren. Schattenseiten werden übersehen. Herausforderungen weichen sie solange es geht aus. Triebe, Lustimpulse wagen sie kaum auszuleben.

    Da sie selbst nicht offen ihre Wünsche äußern, haben sie eine passive Erwartungshaltung anderen Menschen gegenüber entwickelt. Dies kann zu erheblichen Verwerfungen innerhalb von Beziehungen führen. Genauso wie sie sich auf Grund der Persönlichkeitsstruktur häufig auch bescheiden und friedfertig fühlen, weil sie sich dadurch oft moralisch überlegen fühlen.

    Hinter einer Überbesorgtheit zum Partner kann später als Erwachsener eine erpresserische Liebe stehen.

    Auf Grund ihrer meist unbewussten Ängsten, fühlen sie sich auch in vielen Situationen eher als Opfer und werten deshalb auch häufig andere Menschen ab.

    Sie haben Angst in die Welt zu gehen, sich Herausforderungen zu stellen. Hinter der Angst steckt auch oft Wut und Hass, die sie dann gegen sich selbst richten. Im Sinne von: Ich kann nichts und bin auch nichts wert.

    Ihre schönsten Eigenschaften sind Gefühlstiefe und Wärme.

    Zu 3.  Angst vor Wandel

    Mit zunehmender Eigenständigkeit, zwischen dem zweiten und vierten Jahr, will das Kind sich aus der engen Bindung zu den Eltern lösen, eigenständiger werden. Die Umwelt alleine erkunden. Das Kind ist schon fähig Wünsche verbal zu äußern und möchte seine Kräfte ausprobieren. Dabei lernt es auch seine Grenzen kennen. Vor allem geht es um den Eigenwillen. Gerade bei der Sauberkeitserziehung. Hier kann dieser Wille gebrochen werden. Wenn es hier zu wenig Raum bekommt und erfahren muss, dass es die Selbsterkundungen nicht einfach ausprobieren darf, und statt dessen die Dinge so machen muss, wie die Eltern es wollen, zum Beispiel mit den Worten: „ Nur so ist es richtig, und das darfst du nicht“ und diesen Worten durch Strafen Nachdruck verleihen, dann verliert es seine Spontaneität und seinen Eigenwillen. Dadurch lernt das Kind auch, was erlaubt und was nicht erlaubt ist. Das Kind braucht gerade in dieser Zeit Unterstützung von den Eltern, es will gesehen und erkannt werden. Strenge Eltern sind dazu nur begrenzt fähig. Statt dessen  erfährt es dabei was „gut“ und was „böse“ ist.  Damit begegnet das Kind einer neuen Angst.

    Sobald das Kind etwas tut, was es von innen her möchte, und dann mit Liebesentzug oder anderen Strafen belegt wird, umso mehr verliert es sein Eigenes.  Dem Kind bleibt, um zu überleben nur eine Haltung: sein Eigenes zu opfern, und gleichzeitig zu glauben, dass es dies selbst will. Diese Kinder können die Angst nicht zulassen. Das kann bis zur Unempfindlichkeit gehen.

    Bei der Angst vor Schuld und Strafe steht das Kind vor der Herausforderung schuldig und deshalb auch bestraft zu werden. Ob körperlich oder durch Liebesentzug. Es gibt strenge Gebote und strenge Verbote. Wenn wir an einen Bilderrahmen denken, dann kann man das damit vergleichen, dass der Rahmen, der innere Raum für das Kind einfach zu klein ist. Es kann deshalb seine Selbstständigkeit nicht leben. Wenn die Angst vor der Strafe zu groß wird, passt es sich an alle Gebote und Verbote an, ohne eine selbstständige Meinung zu entwickeln. Für diese Kinder besteht das Leben in erster Linie aus Pflicht und Zwang. Alles Fremde, alles Neue ist bei ihnen mit Angst verbunden. Alles muss in einer bestimmten Art uns Weise getan werden. Fällt etwas herunter und geht kaputt, wird gleich getadelt, gedroht oder gewarnt. Das Kind wird auf diese Weise dressiert zu einem Vorzeigekind mit: „mach deinen Eltern keinen  Kummer.“ Es verliert zunehmend seine Eigenständigkeit und weil es seinen Eigenwillen nicht entwickeln kann, meint es das, was ihm die Eltern befehlen, es selbst tun möchte. Diese Kinder haben eine hohe Selbstkontrolle und sind gehemmt. Jede Veränderung macht ihnen Angst. Zwanghaft bleiben sie in ihren Konditionierungen wie eingesperrt.

    Menschen die Angst vor dem Wandel haben, gelten als konservativ. Demnach soll alles beim Alten bleiben, beziehungsweise soll das Alte wiederhergestellt werden. Hier besteht ein übermäßiges Sicherheitsbedürfnis, Risiken sollten nicht eingegangen werden. Daher wird auch nach Macht gesucht, um dieses Denken in Handeln umsetzen zu können. Auch damit nichts Unvorhergesehenes passiert. Man sichert sich möglichst gegen alles ab. Dies führt zu Starrsinn, Geiz und Eigensinn. Sprich: Kompromisslosigkeit. Nach ihrer Ansicht müssen Kinder streng erzogen werden. (Neueste wissenschaftliche Untersuchungen in Deutschland haben ergeben, dass bei jungen männlichen Erwachsenen zwischen 18- und 30 Jahren 34% es unproblematisch finden, die Frau auch mal zu schlagen.) Man lebt zumindest nach Außen innerhalb strenger moralischen Regeln und Prinzipien. Beim Kind musste die Wut, die durch die ständigen Verbote entstanden sind, unterdrückt werden. Denn Ungehorsam bedeutete Strafe, entweder durch Gewalt oder durch Liebesentzug.

    Unter solchen Menschen findet man nicht nur Dogmatiker, sondern auch  Perfektionisten. Vor Fremdem zeigen sich Angst und Vorurteile.

    Diese Ängste führen auch dazu, dass sie andere, die nicht so denken und handeln, möglichst kontrollieren wollen. In Beziehungen führt das auch zum Machtkampf, weil sie ihren Willen unbedingt umgesetzt haben wollen. Da diese Verhaltensweisen hauptsächlich bei Männern zu finden sind, werden Frauen gesucht, die sich unterordnen. Die Partnerin muss sich daher anpassen. Pedantisch bis in Kleinigkeiten. Schnell wird genörgelt oder gedroht. Als Kind mussten diese Menschen grundsätzlich gehorchen, der Eigenwillen wurde durch Strafen so lange gebrochen, bis die Eigenimpulse sich nicht mehr meldeten. Diskussionen oder Gespräche konnten kaum entstehen. Typisch für Eltern solcher Kinder, vor allem des Vaters waren Worte, wie:“ Was  ich gesagt habe, habe ich ein für allemal gesagt.“ Da gibt es keinen Zweifel und auch keine Fragen. Diese Menschen gelten als nüchtern, verlässlich, ehrgeizig.

    Zu 4. Angst vor Bindung

    Sie sind das Gegenstück zum zwanghaften, ängstlichen Menschen.  Sie haben im Gegensatz zu ihnen, zu wenig Grenzen erfahren. Im Alter von vier bis sechs Jahren waren ihre Eltern keine Vorbilder. Je nach Laune wurde bestraft oder nicht. Es konnte sein, dass die Eltern sich vor ihnen hemmungslos gestritten und gegenseitig erniedrigt haben. Unterschiedliche Erziehungsstile und Unaufrichtigkeit beider Eltern brachte diese Kinder in ein psychisches Chaos.  Bei ihnen ist der Rahmen, der Raum in dem sie sich bewegen konnten, viel zu groß und zu unübersichtlich gewesen. Sie verlieren sich und bekommen keine Orientierung von außen. Ihnen fehlt der Blick auf Genauigkeit, auf sinnvolle Ordnung. Später, als Erwachsene besteht dementsprechend zwischen der Realität und der eigenen Wunschwelt oft eine große Kluft. Daher versuchen sie sich dann auch Notwendigkeiten und der Wirklichkeit möglichst zu entziehen. Sie streben nach Freiheit, Wandel und Risiko. Meistens haben sie weder feste Pläne noch klare Ziele. Sie suchen statt dessen ständig nach neuen Reizen, Impulsen, weil sie schnell ihre Begeisterung wieder verlieren.

    Sie fürchten und bekämpfen Einschränkungen, weil sie selbst die Regeln bestimmen wollen.  Sie sind die geborenen Schauspieler. Mit Charme werden andere überzeugt aber auch manipuliert. Man weiß nie, wann man ihnen glauben, oder ob man ihnen vertrauen kann. Sie finden immer wieder erstaunliche Ausreden, warum sie nicht kommen konnten oder nicht pünktlich waren. Mit unnachahmlichen Geschick können sie sich Herausforderungen entziehen. Genauso können sie Fehler rationalisieren. Vorwürfen werden Gegenvorwürfe entgegengesetzt. Sie leben in einer Wunschwelt, in der alle Wünsche auch gleich erfüllt werden sollen.

    In Beziehungen suchen sie Rausch und Leidenschaft. Begehrtwerden ist für sie das Wichtigste. Andere mag man, wenn man von ihnen in der eigenen Haltung unterstützt wird.  Bei Narzissten finden wir auch diese Verhaltensweisen. Menschen, die ihre Launen und Unzufriedenheit durch Publikum kompensieren. In der Kindheit kommt es immer wieder zu Rivalitäten zwischen Vater und Sohn der Mutter gegenüber. Mädchen konkurrieren mit der Mutter, um die Gunst des Vaters.

    Ihre Eltern waren für sie keine Vorbilder. Auf sie war wenig Verlass Sie gaben ihren Kindern keine oder wenig Orientierung und Halt, weil ihre Eltern selbst  unberechenbar waren. Daher stammt auch das labile Selbstwertgefühl, das durch ihre Schauspielerei, immer wieder überdeckt wird. Ihre Angst besteht darin, nicht genug, nicht richtig geliebt zu werden.

        1. Was macht Angst mit uns?

    Allen diesen Konditionierungen liegt Angst zu Grunde.

    Angst ist ein nicht fassbares Phänomen. Sie gehört unvermeidlich zum Leben. In immer neuen Wandlungen begleitet sie uns von der Geburt bis zum Tode. Wir können uns der Angst nicht entledigen. In der Welt zu sein heißt in der Angst zu sein, sagt Henning Köhler. Man muss nur tief genug danach suchen.

    Angst kommt von der indogermanischen Wurzel „angh“, lateinisch „angus“ und bedeutet eng: Angst zeigt sich  immer auch körperlich. In Verbindung mit der Angst wird unser Hals, unser Brustkorb eng. Die Angst lässt uns nicht frei atmen. Wir atmen dann nur noch in den oberen Brustkorbbereich und unsere Kehle schnürt sich zuweilen fast unmerklich zusätzlich zusammen. Der Atem ist flach und wird, um die Angst möglichst nicht zu spüren auch immer wieder angehalten.

    Angst zeigt sich ganzheitlich im Körper, also auch in der Psyche und im Geist. Sie ist eine Form der Erregung, indem Menschen manchmal auch blass werden, manche Menschen bekommen eine hohe Stimme, einige sprechen tiefer, die Knie können schwach werden, oder man bekommt Magendrücken.

    Der Doppelaspekt der Angst: Lähmung und Herausforderung:

    Fritz Riemann spricht von einem Doppelaspekt der Angst. Einerseits lähmt sie uns, andererseits fordert sie uns aber auch auf aktiv zu werden. Sie kann für uns deshalb auch eine wichtige Aufforderung beinhalten: nämlich sie anzunehmen und sich ihr zu stellen. Angst tritt immer in Situationen auf, denen wir uns nicht oder noch nicht gewachsen fühlen. Deshalb ist auch jeder Reifungsschritt mit Angst verbunden. Einfach daher, weil das bisher Nichtbekannte uns in etwas Neues führt.

    Günter Funke, der Existenzanalytiker sagt, dass alles das, was wir als Möglichkeit noch nicht in unseren Geist aufgenommen haben, Angst macht.

    Schon immer haben die Menschen versucht, Angst kontrollierbar zu machen. Magie, Aberglaube, Ideologien, Wissenschaft, Dogmatismus, Fanatismus oder Drogen sind oft gegangene Wege, um unsere Angst einzudämmen. Dadurch wird aber auch unser Horizont nach außen kleiner.

        1. Als Schutzfunktion gegenüber unseren Ängsten gelten zwei Arten:
        • Angst zu unterdrücken, zu verdrängen
        • Angst zu zähmen

    In unserer Kultur haben wir hauptsächlich zwei Wege entwickelt mit unseren Ängsten umzugehen. Einmal versuchen wir die Angst zu verdrängen. Wir wollen sie nicht wahrhaben und tun so, als gäbe es sie nicht. Wir unterdrücken sie. Da sie sich dadurch aber nicht einfach auflöst, zeigt sie sich in einer anderer Form. Wir werden aggressiv, oder müde. Es bilden sich unangenehme Gefühle und Schmerzen, die wir dann versuchen durch Tranquilizer, oder Schmerzmittel zu bekämpfen. Die Pharma- Industrie lebt gut von unseren Depressionen, Burnouts, ADHS und den gesamten Herz-Kreislaufkrankheiten, die nicht auch umsonst die Krankheit ist, an der die meisten Menschen sterben.

    Auf dem zweiten Weg versuchen wir unsere Ängste zu zähmen. Man gibt ihnen nach und lässt sich durch sie das Leben diktieren. Es geht hauptsächlich um Kontrolle. Kontrolle heißt auch, dass wir unser Leben selbst beschneiden. Wir berauben uns dadurch der vielen Möglichkeiten, dem Leben anders, sinnvoller, genussvoller zu begegnen.

    Es gibt aber für mich noch einen dritten Weg, auf den ich später eingehen werde.

        1. Die Unerfüllbarkeit aller Wünsche:

    Selbst wenn wir ein gutes Urvertrauen entwickeln, können die Eltern unmöglich alle Bedürfnisse des kleinen Kindes erfüllen.

    Das Kind will geliebt werden und sich immer sicher und behütet fühlen. Ist dies auch nur einmal nicht der Fall, wird dies beim Kleinkind als Mangel empfunden.

    Es glaubt: ich bin schuld, mit mir stimmt etwas nicht, dass ich nicht alles bekomme. Das Kind glaubt also, dass es an ihm liegt, dass es nicht alles bekommt, was es zu brauchen glaubt.

    Um diesen Mangel auszugleichen, versucht das Kind selbst Strategien, Schutzmechanismen zu entwickeln. Jedes Kind entwickelt hier unterschiedliche und eigene Strategien.

    Entscheidend ist das Maß des Urvertrauens, aber spätestens im Alter von 6 Jahren hat das Kind seine Konditionierungen in hohem Maße ausgebildet. Die Konditionierungen sind aufgrund der gefühlten Bedrohung mit Schmerz verbunden. Daher ist jede Konditionierung negativ gefärbt. Allerdings entspricht diese gefühlte Bedrohung nur selten der Wirklichkeit. Da wir als Kind keinerlei Kontrolle über diese als bedrohlich empfundenen Situationen hatten, bilden wir ein negatives Selbstbild aus. Die Zenmeisterin Charlotte Joko Beck bezeichnet diese Konditionierung als Grundentscheidung, solange wir mit dieser negativen Konditionierung leben.

    Es sind Verhaltensweisen, die uns täglich hindern, das Leben zu genießen, Vertrauen zum Leben aufzubauen, neugierig in die Welt zu blicken, sich zu freuen, gute Beziehungen zu leben.

    Es entstehen Selbstbilder, vor allem negative Selbstbilder, in denen wir uns abwerten, ständig uns Sorgen machen, uns arrogant zeigen, oder in uns den ewigen Verlierer erkennen.

    Wir wollen geliebt werden. Verhalten uns aber so skeptisch, misstrauisch, abwertend, werden ständig von Zweifeln geplagt, dass genau dieser Wunsch nur begrenzt erfahren wird, eher noch verhindert wird.

    Dies führt zu Spannungen im Körper und zu ewigen, vor allem negativen Gedankenschleifen im Geist.

        1. Unsere Schutzmechanismen:

    – Konditionierungen

    – Komplexe

    – Schattenseiten

    Diese Verhaltensweisen werden zwar unterschiedlich bezeichnet. Für mich gehören sie alle zusammen:

    6.1. Konditionierungen

    Alle diese Konditionierungen sind Haltungen, die sich vor allem in herausfordernden Situationen unkontrolliert zeigen. Das heißt wir haben gar keine Wahl anders zu handeln. Wir müssen dann schreien, wir müssen dann gewalttätig werden, wir werden uns sofort aus der Situation flüchten, wir müssen uns schämen, wir müssen uns schuldig fühlen, wir müssen uns als etwas Besseres fühlen, wir müssen uns hilflos fühlen, wir müssen uns eifersüchtig fühlen, wir müssen immer mehr Geld haben, wir müssen Recht haben, wir können nicht allein sein, wir müssen uns minderwertig fühlen, wir müssen ausrasten, wir müssen…

        • Komplexe:
        • Ödipuskomplex
        • Elektrakomplex
        • Mutterkomplex- Vaterkomplex
        • Minderwertigkeitskomplex

    Den Begriff Komplexe kennen wir von C.G. Jung. Komplex aus dem Lateinischen kommend bedeutet so viel wie zusammenfassend, wird aber auch im Sinne von vielschichtig und kompliziert verwendet. Bei Jung gibt es den Ödipuskomplex, Elektrakomplex, Mutterkomplex, Vaterkomplex, den Minderwertigkeitskomplex. Komplexe sollen uns schützen, vor dem, was wir in der Kindheit Schwieriges, Nicht-Verarbeitendes, auch Furchtbares erlebt haben. In Wirklichkeit schränkt er eher unsere Freiheit ein, weil der Komplex uns keine Wahl lässt.

    Ödipus hat in der griechischen Mythologie unbewusst seinen Vater umgebracht und eine Liebesbeziehung zu seiner Mutter aufgebaut. Der Junge erkennt, dass auch er wie sein Vater einen Penis besitzt und deshalb in unserer Welt den Vater als Rivalen zur Mutter sieht, zu der er sich besonders hingezogen fühlt. Der Elektrakomplex bezieht sich auf das Mädchen, das eine Feindseligkeit zur Mutter aufbaut, um eine besondere Beziehung zum Vater herzustellen.

    Von einem Mutterkomplex spricht man, wenn man die Mutter nur positiv oder nur negativ erfahren hat. In vielen Kulturen dann, wenn man die Mutter als böse, zerstörerisch oder verschlingend erfährt. Menschen mit einem ausgeprägten Vaterkomplex, werden so gut wie alles, was sie machen, in den Bezug zum Vater stellen. Dies kann positiv, negativ, förderlich oder auch hinderlich sein, sagt Daniel Reinemer.

    Der verbreitetste Komplex ist wohl der Minderwertigkeitskomplex. Er entsteht schon deshalb, weil ein Kind gegenüber Erwachsenen in nahezu allem unterlegen ist und ständig die Hilfe der Erwachsenen braucht. Vor allem dann, wenn Eltern die Kinder nicht ganz selbstverständlich als Kinder ihres entsprechenden Alters behandeln. Sie gehen statt dessen mit ihnen um, als wären sie kleine Erwachsene. Daraus entsteht ein Minderwertigkeitsgefühl, weil sie den Vorstellungen der Eltern niemals gewachsen sein können.

    6.3. Schattenseiten

    Schattenseiten sind nach Jung die psychischen Seiten in uns, die wir nicht wahrhaben wollen. Für Jung sind diese Seiten mindestens halbbewusst, oft sogar ein ganz unbewusster Teil unserer Persönlichkeit. Wir wollen diese Seiten nicht sehen, weil sie uns ängstigen. Das, was nicht zu unserem Selbstbild passt, ist unser Schattenbereich. Wir erfahren durch die Schattenseiten unsere psychischen und geistigen Grenzen.

    Bei allen diesen Gedanken und Konzepten wird deutlich, dass unsere Eltern zwar einen großen Anteil daran haben, ob wir später eine narzisstische, psychotische, histrionische, oder ängstliche Persönlichkeit entwickelt haben. Es ist aber wenig hilfreich die Eltern später für diese negativen Konditionierungen verantwortlich zu machen. Auch sie können wie wir selbst nur das geben, was sie haben. Auch sie hatten Eltern oder Bezugspersonen, die sie genau zu denen gemacht haben, wie sie sich uns jetzt zeigen. Und vor vielleicht 50 oder 60 Jahren hatten die Eltern noch ganz andere, stärker einschränkende Konditionierungen und Ängste als heute.

    Es ist zwar auch verständlich deshalb unsere Eltern für unser Leben verantwortlich zu machen. Wenn wir bei den Schuldzuweisungen stehen bleiben, um für unseren Hass, unsere begrenzten Möglichkeiten, unsere Ängste, unsere Macken jemanden anklagen können, bringt uns das in Bezug auf Angstabbau und ein sinnvolleres Leben zu finden, keineswegs weiter.

    Ob Konditionierung, Muster, Automatisierung, Komplexe, oder Schattenseiten. Alle beschreiben ähnliche komplexe Zusammenhänge und gehören für mich zu einem großen Konditionierungs- Komplex zusammen.

        1. Drama -Dreieck: Opfer- Retter- Verfolger

    Woran können wir täglich im Alltag unsere Konditionierungen erkennen?

    Es gibt einen existenziellen Bereich, bei dem wir als Erwachsene Verhaltensmuster, die bei vielen Menschen, zumindest im Ansatz zu finden sind, deutlich erkennen können. Es geht um unseren Umgang mit Menschen.

    Im folgenden psychologischen und sozialen Modell, das zum ersten Mal von Stephen Karpman beschrieben wird, werden unsere Rollen und Kommunikationsmuster aufgedeckt. Drei grundsätzliche Rollen werden hier beschrieben, in denen sich jeder finden kann. Einerseits fühlt man sich bei einer Rolle hauptsächlich „zu Hause“, andererseits, kann man auch in allen dreien sich wieder erkennen.

    Er unterscheidet in Drama Dreieck zwischen: Opfer, Retter und Verfolger.

    Zum Opfer:

    Das Opfer fühlt sich nicht richtig, eher schwach, schuldig und für seine Handlungen, nicht verantwortlich. Das Opfer ist angepasst, unfrei, ängstlich, zu passiv, zu freundlich. Dadurch, dass es sich anpasst, glaubt es das Recht zu haben geliebt zu werden. Wir finden diese Verhaltensweisen vor allem bei depressiven Menschen wieder.

    Zum Retter:

    Der Retter ist davon überzeugt richtig zu sein und glaubt, dass andere mit seiner Hilfe auch richtig werden können. Er weiß, was für andere richtig ist und genau deshalb brauchen ihn, wie er überzeugt ist,  auch andere. Er ist deshalb unreflektiert, aber auch wankelmütig, überfürsorglich, bevormundend, auch kontrollierend, manipulativ und von außen gesteuert. Diese Verhaltensweisen entsprechen in etwa dem Histrioniker.

    Zum Verfolger:

    Er ist davon überzeugt gut und richtig zu sein, alle anderen nicht. Er sucht die Macht, ist zu anderen überkritisch, kann keine Kompromisse machen, kann zwanghaft sein, ist egozentrisch, auch aggressiv. Er will andere beherrschen, er erniedrigt sie auch, er kritisiert und klagt andere an, er attackiert und schüchtert andere ein, er verbreitet Angst. Er ist der typische Machtmensch, fühlt sich als Führer geboren. Er spürt die Schwächen der anderen und kann sie gnadenlos ausnützen. An anderen Menschen ist er nur insofern interessiert, ob sie ihn toll finden und unterstützen. Diese Verhaltensweisen finden wir auch bei Angstmenschen, die zwanghaft sind und Angst vor dem Wandel haben.

    Überall im Alltag lassen sich diese drei Rollentypen in den entsprechenden Kommunikationsformen finden. Auch in Unternehmen, in der Politik und im privaten Umgang.

    Es sind drei Erscheinungsformen, die wie Teilpersönlichkeiten agieren. Sie entstehen vor allem durch unreflektierte Kindheitserfahrungen, Gefühle und Ängste. Es sind eingefahrene Reaktionsmuster oder Konditionierungen. Jeder/jede kann sich, wenn er/sie sich darauf einlässt,  grundsätzlich in ihnen wiederfinden. Die Rollen können aber auch wechseln. Meist überwiegt eine Teilpersönlichkeit.

    Keine Teilpersönlichkeit kann wirklich sagen, was sie will, was sie braucht und vor allem, was sie im tiefsten Inneren bewegt. Keiner/keine hat in ihrem Verhalten wirklich gute Gefühle. Es gibt auch keine freie Entscheidungskraft. Das Selbstwertgefühl ist gestört. Man dreht sich im Kreis. Innerhalb dieser Verhaltensweisen gibt es nicht wirklich eine, die besser als die anderen ist.

        1. Der dritte Weg

    Wir können also nichts für unsere Konditionierungen und unsere Ängste. Also auch nichts für unsere Verhaltensweisen und unsere Macken, egal wie komisch, selbstzerstörerisch oder gefährlich sie daher kommen. Aber als Erwachsene können, sollten wir lernen die Verantwortung für unsere Handlungsweisen zu übernehmen, als Voraussetzung, um sie wandeln zu können.

    Die verschiedenen Konzepte über die Ursachen und Auswirkungen unserer Konditionierungen sind sich alle sehr ähnlich, weil sie auf unzähligen Beobachtungen und Erfahrungen beruhen. Trotzdem gibt es hier keinen absoluten Anspruch, ob das hier Beschriebene alle  depressiven, zwanghaften, histrionischen Menschen so oder so ähnlich in ihrer Kindheit erfahren haben. Außerdem, trotz aller  Kindheitserinnerungen können wir niemals absolut sicher wissen, ob wir das, was wir glauben erfahren zu haben, sich genauso zugetragen hat.

    Wichtig ist aus meiner Sicht, insgesamt mehr Klarheit zu bekommen, wie wir der oder die wurden, die wir heute sind.

    Nach diesen Konzepten haben wir vier Entwicklungsstufen in unserer Kindheit erlebt. In der Regel zeigt sich bei unseren Konditionierungen vor allem eine Entwicklungsstufe als dominant. Aber genauso haben sich auch in den anderen Entwicklungsphasen Konditionierungen gebildet, die uns aber weniger beeinflussen.

    Wenn wir nun erkannt haben, dass beide zuvor gegangenen Wege uns in unserer persönlichen Entwicklung behindern und blockieren und unsere Sehnsüchte nach Liebe und Selbstentfaltung nicht in Erfüllung gehen, dann könnte in uns eine Kraft entstehen, einen anderen Weg  gehen zu wollen.

    8.1. Mut und Achtsamkeit

    Heute sind wir nicht mehr drei oder 6 Jahre alt, sondern erwachsene Menschen. Wir haben andere Fähigkeiten entwickelt, und deshalb könnten wir in Verbindung mit Mut mit vielen Herausforderungen anders umgehen lernen. Vor allem dann, wenn wir durch individuelle „Nachreifung“, unseren Selbstwert, unsere inneren Möglichkeiten, inneren Ressourcen erweitert haben.

    Wir brauchen Mut dazu, um zu unserem bisherigen Leben zu stehen, es anzunehmen, um es in der Tiefe zu reflektieren.

    Mut uns unseren Ängsten stellen zu wollen. Ohne diesen Mut uns selbst anzunehmen, so wie wir geworden sind, können wir uns nicht aus diesen Ängsten lösen und sie wandeln.

    Unsere Konditionierungen und die dahinterliegenden Ängste, fordern uns auf, sie genauer anzuschauen, auf sie zu zugehen, um mit ihnen anders umgehen zu lernen.

    Es ist also zuerst einmal notwendig unsere Konditionierungen zu erkunden. Worin bestehen nun unsere Konditionierungen. Wir müssen sie kennen lernen wollen, weil sie mit unserem Denken, mit unseren Gefühlen, mit unserem Handeln fest verbunden sind. Schließlich formen sie auch unser Selbstbild. Solange wir diesen Weg nicht beschreiten, haben wir unser wirkliches Leben noch nicht gefunden.

    8.2.  Spirituelles Verhalten

    Charlotte Joko Beck die Zenmeisterin sagt, dass alle Probleme psychologischer Natur und alle Lösungen spiritueller Natur sind. Dadurch wird auch deutlich, was sie unter Spiritualität versteht. Spirituelles Verhalten ist immer auch tiefgründig, kritisch, reflektierend. Man wechselt immer auch die Perspektive, um nie nur eine Seite oder eine Meinung anzuschauen. Dazu brauchen wir Achtsamkeit. Michael Huppert sagt, dass Achtsamkeit „das absichtslose Verweilen in der Gegenwart“ ist. Absichtslos heißt, wir bemühen uns das Erleben so wie es sich zeigt anzunehmen und nicht zu werten oder gar zu verurteilen. Das ist für mich prozesshafte Transformation.

    Alle folgenden Praktiken führen dann über Achtsamkeit dazu, unsere Konditionierungen zu transformieren. Es ist oft gar nicht möglich sie grundsätzlich los zu werden. Vielmehr müssen wir sie durchschauen lernen. Erkennen, wie sie unser Leben immer wieder blockieren,  verkomplizieren, ja zerstören. Wichtig ist sich damit nicht noch zusätzlich Vorwürfe zu machen.

    8.3. Ängste annehmen

    Wir sind doch auch auf der Erde, um immer wieder dazu zu lernen. Wenn wir ernsthaft eine andere Qualität zu leben lernen wollen, müssen wir:

        1. Unsere Konditionierungen ohne wenn und aber annehmen und akzeptieren
        1. Brauchen wir Mut und Achtsamkeit
          1. Müssen wir lernen und üben: Inne zu halten und zu uns selbst Stopp sagen
          2. Wir müssen uns klar machen, dass dies eine Herausforderung beinhaltet, der wir nur nach und nach gewachsen sind.

    Zu 1.

    Unsere zuvor beschriebenen Konditionierungen ohne wenn und aber annehmen.

    Die bisherigen Ausdrucksformen unserer Ängste gilt es tief zu verstehen und anzunehmen. Erst dann taucht in uns ausreichend:

    Zu2.

    Kraft mit Mut und Achtsamkeit auf, um uns den Konditionierungen zu stellen. Da wir die Angst nicht zum Schweigen bringen können, und auf keinen Fall verdrängen sollen, müssen wir lernen, die Angst auf eine andere Art und Weise zu bewältigen.

    Der dritte Weg mit der Angst umzugehen, ist sie in unser Leben miteinzubeziehen.

    Mutige Menschen sind Menschen, die ihre Angst spüren, zu ihrer Angst stehen und ihr Leben als einen Entängstigungsprozess  begreifen. Dies fällt auch deswegen schwer, weil wir erkennen müssen, dass wir mit unserer Angst immer auch alleine sind. Ein Grund, warum wir die Schutzmechanismen unter Kontrolle behalten wollten. Je größer die Ängste, umso größer unsere Einsamkeit. Wir sind deshalb in der Angst, wie in einem Gefängnis gefangen und einsam, weil wir uns in diesen Momenten nicht im Hier und Jetzt befinden und deshalb nicht mit der Welt mit dem Sein verbunden sind.

    Eine frei gewählte Form des Alleinseins ist also notwendig, um sich mit dem Körper zu verbinden, um ins Hier und Jetzt zu kommen und daher die Kraft zu haben unsere Ängste zu zulassen, ohne sie durch unsere Schutzmechanismen zu bezähmen oder verdrängen zu wollen. Ohne den Mut zu haben uns unseren Konditionierungen und damit unseren Ängsten zu stellen, werden sie uns weiter regieren. Wir brauchen Mut um erkennen zu können, dass unser Gedankenkarussell nicht der Wirklichkeit entspricht. Ängste verhindern, gelassen und klar die Wirklichkeit zu erkennen und zu zulassen. Solange wir uns innerhalb unseres Gedankenkarussells befinden, sind wir nicht in der Gegenwart, sondern mit den uralten Ängsten aus der Kinderzeit verbunden.

    Wenn wir genau hinschauen, denken und handeln wir in herausfordernden Situationen durch unsere Ängste tatsächlich ähnlich, wie wir als Drei- oder Sechsjähriger gehandelt haben.

    Sind wir also bereit unser Herz zu öffnen, denn die Kräfte unseres Herzens brauchen wir zur Wandlung. Ohne ein geöffnetes Herz werden wir den Gegenkräften nicht lange Stand halten. Wir brauchen hierzu auch immer Achtsamkeit, weil die bisherigen Abläufe automatisiert geschahen.

    Um aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu gelangen, müssen wir  „innehalten und stopp“ sagen lernen. Wenn wir uns in einer Situation befinden, bei der unsere Konditionierung sofort das Steuer in die Hand genommen hat, müssen wir unser Gedankenkarussell sofort unterbrechen, indem wir innehalten und zu uns selbst Stopp sagen.

    Dadurch schaffen wir eine Situation, in der eine zeitliche aber auch eine innerliche Distanz zu dem Geschehen entsteht. Diese Distanz ist notwendig, um den bisherigen Automatismus zu unterbrechen. Dadurch kommen wir ins Hier und Jetzt. Wir können dann üben unseren Körper wahrzunehmen, unseren Atem und den Boden spüren. Dadurch unterbrechen wir auch unser Gedankenkarussell dann im Geist, weil wir immer nur einen Gedanken zur selben Zeit denken können. Nun entsteht Raum, von innen her neue, andere, sinnvollere Gedanken  auftauchen zu lassen, die uns zu einer anderen Handlung führen können. Wenn wir innehalten, unterbrechen wir auch unsere konditionierte Schutzhaltung.

    Nun sind die Ängste frei und wir treten ihnen schutzlos gegenüber. Wir sind dann ganz Angst, dürfen uns aber von ihr nicht überrollen lassen.

    Dies ist die große Herausforderung, der wir auf dem dritten Weg nicht ausweichen können, wenn wir unsere Konditionierungen auflösen wollen. Wir müssen uns der Angst und dem dahinter liegenden Schmerz ausliefern. Unsere Angst hat den dahinter liegenden Schmerz bisher versteckt und zugedeckt. Indem wir uns ganz dem Schmerz aussetzen, geschieht etwas vollkommen anderes als das wir geglaubt haben. Sobald  wir durch diesen Schmerz hindurch gegangen sind, taucht Erleichterung und Glückseligkeit auf. Wenn es uns gelingt die Schmerzen auszuhalten und durch sie hindurch zu gehen, werden wir feststellen, dass wir uns immer mehr entspannen und immer mehr wohltuende Gefühle auftauchen. Dies ist eine unglaublich, glücklich machende Erfahrung.

    Ohne Angst wandelt sich auch die Wirklichkeit. Wir sind dann im Hier und Jetzt und haben dann auch ein anderes Bewusstsein, nehmen die Wirklichkeit mit anderen Augen wahr.

    Angstgefühle, die wir bewusst zulassen, wandeln sich. Weil wir dann auch anders denken und weil durch unsere Gedanken unsere Gefühle entstehen, wandeln sich dabei unsere Ängste. Sie werden zunehmend kleiner, ja handhabbarer, bis wir die Angst vor der Angst verlieren. Jede neue Erfahrung durch Innehalten und Stopp sagen, stärkt uns zunehmend dann von innen her und gibt uns einen wachsenden inneren Halt, der sich durch ein gestärktes Selbstwertgefühl, durch Gelassenheit und Klarheit zeigt.

    Auf diese Weise lernen wir uns auch in herausfordernden Situationen immer wieder anders, sinnvoller einzustellen. Wir handeln zunehmend weniger automatisiert und haben die Kraft allmählich in fast jeder Situation unsere Handlung wählen zu können.

    8.4. Konditionierung in Beziehungen:

    Welche Auswirkungen haben Konditionierungen in Partnerschaften beziehungsweise in Liebesbeziehungen? Meine Erfahrung ist die, dass meistens festgefahrene Konditionierungen solange zu Streit und Machtkämpfen führen, bis sich wenigstens einer innerlich bewegt und sich der Konditionierung des anderen öffnet. Zumindest ahnt er, dass sich dahinter etwas Wesensmäßiges versteckt, was geborgen werden möchte. Wenn das nicht möglich ist, führt das in der Regel zur Trennung. Es gibt auch Paare, die sich mit ihren Konditionierungen und dysfunktionalen Verhaltensweisen gegenseitig arrangieren. Menschen, die sich innerlich nicht bewegen wollen, suchen Menschen mit einer Konditionierung, die die eigene unterstützt. Zuvor  habe ich erwähnt, dass machtgepolte Menschen, auch unterwürfige Partner/innen anziehen beziehungsweise suchen. Ähnlich ist die Situation, wenn Histrioniker einen Partner suchen, der sie bewundert, oder depressive Menschen einen Partner, der ihn in seiner in Lethargie unterstützt.

    Ich glaube, dass ich eher Partner/innen gesucht, die mich an meine Grenzen gebracht haben. Entweder gelang es mir meine psychischen und geistigen Grenzen zu erweitern, oder die Beziehung war zum Scheitern verurteilt. Grenzen im Ego-Bereich und in der mangelnden Sensibilität, waren meine Herausforderungen. Unter Ego-Bereich verstehe ich ein unbewusstes Verhalten, das will, das braucht und das muss. Es ist kaum fähig Kompromisse zu machen. Unter mangelnden Sensibilität verstehe ich die Unfähigkeit das Ego zuerkennen und aus seinem Ego auszusteigen. Es fehlt dann die Fähigkeit sich in den anderen hinein zu versetzen. Man kreist dann nur um sich. Ich gehe davon aus, dass die Entwicklung dieser beiden Herausforderungen bestimmen, wohin die Beziehungsreise gehen kann. Eine Beziehung ist festgefahren, wenn sich in diesen beiden Bereichen das Paar nicht bewegen kann. Die Beziehung kann sich dann zumindest nicht entwickeln.

    Ich verstehe eine Partnerschaft als die große Chance, gemeinsam zu wachsen und gleichzeitig jeder dabei über sich hinauswachsen kann. Ja muss, wenn wir diese Chance nutzen wollen, um glücklicher zu werden. Die Partnerin bringt andere Fähigkeiten und Haltungen mit, als ich. Mich diesen anderen Fähigkeiten und Entwicklungen zu öffnen, mich hier einzulassen und zu sensibilisieren und das Anderssein in mich zu integrieren, transzendiert mich. Wenn die Partnerin umgekehrt sich meinen Möglichkeiten und Fähigkeiten öffnet, kann etwas drittes Neues, bisher nicht Vorstellbares entstehen.

    Auch oder gerade im Beziehungsbereich ist es also notwendig unsere Konditionierungen zu erkennen. Blockierende Ängste können durch funktionale Verhaltensweisen ersetzt und der eigene Horizont kann so prozesshaft erweitert werden.

    Wenn wir das erkannt haben, müssen wir Ängste nicht mehr verdrängen, sondern können sie zunehmend als ständige Begleiter annehmen. Wenn wir dann noch lernen, sie als unsere Gäste einzuladen, dann können wir ihnen gegenübertreten und ihnen Fragen stellen. Fragen, wie:

        • was wünscht ihr von mir?
        • wie kann ich sinnvoll mit euch umgehen?

    Auf diese Weise lernen wir unsere Ängste nicht nur von Grund auf neu kennen, sondern zunehmend schätzen.

    Sie machen uns dann klar, dass es ganz viele Situationen im Alltag gibt, bei denen uns keinerlei Gefahr droht. Angst vollkommen überflüssig ist. Situationen und neue Erfahrungen werden dann spannend, interessant und herausfordernd und nicht mehr beängstigend empfunden. Es entstehen dann Verhaltensweisen, durch die wir dann mehr annehmend, neugierig und staunend in die Welt blicken.

    Dann können wir uns den wirklichen Gefahren zuwenden. Da es heute kaum mehr gefährliche Tiere gibt und unser materielles Leben in unserem Sozialstaat in Wirklichkeit bei den Grundbedürfnissen in hohem Maße gesichert ist, können wir uns den wirklichen Bedrohungen zuwenden. Der Straßenverkehr, der Ernährung, bei Süchten, beim Konsum, beim Klima, bei der Artenzerstörung, der mangelnden Nachhaltigkeit, … Die größte Bedrohung liegt aus meiner Sicht in der „Dumpfheit“ eines Teils der Menschheit. Ihrer Unbewusstheit, ihrer Gier, ihrer Machtgelüste, ihrer Egomanie, ihrer Unfähigkeit mit ihren Ängsten umgehen zu können und deshalb den dritten Weg nicht beschreiten zu können. Dies sind die wahren Bedrohungen, die immer näher kommen und denen wir nicht ausweichen können.

    8.5. Dankbarkeit und Selbstmitgefühl

    Dieser Prozess sich den Ängsten zu stellen, kann wesentlich durch Dankbarkeit und Selbstmitgefühl unterstützt werden. Dankbarkeit gegenüber dem Sein, dass wir leben, ein Bewusstsein haben, dass wir alles, was wir brauchen, von der Natur geschenkt bekommen, dass wir Kräfte haben uns innerlich weiter zu entwickeln und dabei Freude und Glück erfahren können. David Steindl Rast sagt, dass Dankbarkeit grundsätzlich glücklich macht. Vor allem dann, wenn wir dankbar über  kleine Dinge im Leben sind. Dingen, die wir als selbstverständlich betrachten.

    Selbstmitgefühl ist ein anderer notwendiger Wert auf diesem Weg. Es kann nur unterschätzt werden. Wir werden auf diesem Weg immer wieder auch unsere Grenzen und Schmerzen erfahren. Selbstmitgefühl hilft uns dann in diesen Situationen, dass wir uns nicht runter ziehen, abwerten, uns oder andere schlecht machen. Auch dann nicht, wenn wir immer wieder auf diesem Weg in alte Verhaltensweisen rutschen werden. Vielmehr sollten wir jeden Schritt auf diesem Weg wahrnehmen und dankbar für diese neue Entwicklung sein. Wir können nur unser Bestes geben, den Rest müssen wir überlassen, dem was größer ist, als wir selbst.

    Wenn wir dann noch lernen unsere Ängste als Freunde zu behandeln und ihnen gut zuhören können, dann sind wir wirklich auf dem Weg zu neuen Erfahrungen und einer neuen Lebensqualität.

    Unsere Konditionierungen  können ersetzt werden durch neue, sinnvolle Konditionierungen.

    In jeder Situation nicht mehr automatisiert zu handeln, sondern durch innehalten, individuell auf jede Situation entsprechend ihrer Herausforderung sinnvoll zu reagieren und zu handeln, macht das Leben interessant, spannend, herausfordernd, speziell und erfüllend.

    Wenn wir diesen Weg einmal beschritten haben, werden wir solange wir leben diesem sicherlich nicht immer gerade verlaufendem Weg folgen, weil wir auf diesem Weg zunehmend Liebe und andere bisher nicht kennengelernte, wunderbare Gefühle erfahren können.